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Schweizer Fachzeitschrift
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Leit- oder Leidmesse?

Die Drupa ist Synonym für die globale Leitmesse in Print- und Papiertechnik. Da können Innovationen rund um Print in vollem Einsatz bestaunt werden. Ist das im Zeitalter von digitalen Medien aber noch gefragt?

René theiler* Die Entwicklung der Leitmesse der grafischen Industrie in den letzten Jahren wirft immer mehr die Frage auf, um welche «Leit-messe» es sich denn 2016 noch handelt. Vor Jahren war die Präsenz der Druckmaschinen und deren Hersteller noch klar strukturiert und fing in Halle 1 mit viel Pomp und Hardware von Heidelberg an, doch jedes Jahr brach sukzessive etwas von dieser Dominanz weg. Der Markt an potenziellen Käufern von Druckmaschinen in Europa schwindet. Auf der Pressekonferenz Anfang Dezember brachte dies Heidelberg mit ihrem Drupa-Motto «Simply Smart» zum Ausdruck. Smart bedeutet: Vernetzt, relevant, durchgängig und interaktiv neue Lösungen für die Kommunikation mit Drucksachen auf unterschiedlichsten Ebenen ermöglichen. Alter Wein in neuen Schläuchen? Oder versteht man unter smart, den Druckern mit ihren repetitiven Produkten neue Geschäftsfelder zu eröffnen? Sind plötzlich neue Dienstleistungen ausserhalb von schnellen Rüstzeiten und synchronisierten Druckwerken wichtiger?

2016 wird nochmals das Thema «Ver-netzung von Prozessen» als Schwerpunkt präsentiert, obwohl mich JDF seit dem Millenniumwechsel begleitet und in den Betrieben eigentlich schon lange integriert sein müsste. Dieses Jahr bekommt dank «Industrie 4.0» die Idee der Vernetzung wieder neuen Schwung. Es geht also um die Frage «Wie ordnen wir uns in einer durch die Digitalisierung geprägten, vernetzten Welt ein?». Das sind Management-Themen, die nicht mit grosser Technik dargestellt, sondern mit gut gemachten Präsentationen erklärt werden sollten. Dazu braucht es keine «Monsterhallen» wie in Düsseldorf.

Es geht bei der diesjährigen Drupa um Innovationen, und – man höre und staune – plötzlich erscheint auch «Multichannel» auf der Anzeigetafel der Aussteller und Lieferanten. Verschiedene Ausgabekanäle haben in der Regel wenig mit Drucken und mehr mit IT-Dienstleistungen zu tun. Es werden «smarte Lösungen» angeboten, die individuell und zunehmend auf die Kunden der Druckindustrie ausgerichtet sind. Hier nochmals die Frage: Warum in aller Welt braucht es noch ein riesiges Gelände mit riesigen Hallen, wenn plötzlich alles «smart» und auf dem Tablet ist. Keine der neuen Zielgruppen wird sich an Druckmaschinen ergötzen, die in wochenlanger Arbeit mit viel Schweiss und grossen Budgets aufgestellt werden. Oder täuscht man die Drupa-Besucher mit alter Technik und vielen Inno-vationen?

Die neuen Möglichkeiten erfordern ein neues Miteinander von Technikanbietern, ihren Anwendern sowie deren Auftraggebern. Das, was einst im Cube als Innovationspark für neue Ideen gehegt und gepflegt wurde, ergiesst sich jetzt über alle Hallen und versucht mit ähnlichen Konzepten neue Geschäftsfelder für die Druckindustrie zu erschliessen. Welche Druckindustrie gemeint ist, müssten wir dann noch erkunden – sicher aber nicht die uns bekannte konventionelle Schwarze Kunst.

Die meisten Besucher kommen nicht mehr aus Europa. Die Zahlen der letzten Drupa sprechen eine klare Sprache, in welche Länder oder Kontinente sich unsere Druckindustrie verschoben hat. Geht der Trend der Innova­tionen rund um den Druck im gleichen Tempo weiter, stellt sich mir die Frage: Ist denn Düsseldorf noch die richtige Adresse oder orientiert sich die Messe nicht auch Richtung Ferner Osten? In einzelnen Messe-Konzepten sind verschiedene Orte bei der Durchführung schon lange eingeführt. Für Düsseldorf stellt sich generell die Frage, ob die Hersteller auch in Zukunft in einem sich rasch verändernden Marktumfeld immer noch so grosse Budgets für einen intensiven Maschinenpark bereit-stellen werden. Sind wir gespannt, was nach der Drupa passiert, denn alles, was wir an der Leitmesse sehen werden, ist zumindest auf den Propaganda-Multichannels bereits gelaufen. «Time for a Change» – wäre ein treffendes Motto. Des einen Leid, des anderen Freud, oder eben: von der Leitmesse zur Leidmesse. In dieser Form unterscheidet sich die Drupa nicht mehr von der Fespa oder einer IT-Messe, es geht schlicht und ergreifend überall um die gleichen Themen. Was der Drupa fehlt, ist ein klares Profil. Und ohne einen Fokus wird es auch für die Aussteller schwierig, sich zu positionieren.

* René Theiler ist Bildungsverantwortlicher und Projektleiter Technik beim Fachverband publishingNETWORK.

Die in dieser Rubrik wiedergegebene Meinung muss nicht mit der des Publisher übereinstimmen.